Wie ein Trail Dein Leben verändert

Du wirst reicher.

„I’m beginning to learn that this is the sweet simple things of life which are the real ones after all.”

Es gibt unterschiedliche Wege reich zu werden. Für die meisten Menschen bedeutet Reichtum materielle Werte anzuhäufen – sich durch den Kauf von verschiedensten Dingen zu befriedigen. Vielleicht hast Du es selbst schon mal erlebt, dass Dich ein neues Kleid oder ein neues Hemd an einem Tag voller Ärger aufgeheitert hat. Aber wann haben wir genug, um uns gänzlich befriedigt zu fühlen?

Schon in Vorbereitung auf den Trail haben wir auswählen müssen, was wir wirklich brauchen. Einige Etappen später wussten wir, dass selbst das noch zu viel war. Wir konnten kaum noch laufen, mein T-Shirt war blutverschmiert von den Schürfwunden, die der schwere Rucksack auf meiner Hüfte gerieben hat. Doch an diesem Tag hatten wir Glück: Wir fanden eine Post und konnten dort viel Krimskrams nach Hause schicken.

Erst im Angesicht der Schmerzen und dem dringenden Wunsch, so viel Gewicht wie möglich loszuwerden, war es uns möglich den unnötigen Ballast in unseren Rucksäcken zu erkennen. An diesem Tag schickte ich zwei Paar Socken nach Hause, ein Buch, unseren Selfiestick, den Dosenöffner, ein Kleid und jede Menge Kleinkram. Ich fühlte mich leicht und unbeschwert. Es war ein gänzlich befriedigendes Gefühl nur so viel zu haben, wie wir wirklich brauchten.

Seit wir wieder zu Hause sind, betrachten wir unsere Sachen mit anderen Augen. Ich habe das Gefühl, vieles würde mich erdrücken. Inzwischen laufe ich durch Kaufhäuser ohne den Wunsch zu verspüren, etwas zu besitzen, etwas neues zu kaufen. Ganz ehrlich: Ich empfinde vollkommenes Glück bei dem Gedanken alles zu besitzen und nichts zu brauchen.

Dein Verstand wird klarer.

„Our inability to see things that are right before our eyes until they are pointed to us, would be amusing if it were not at times so serious.”

In unserem Leben lernen wir ständig neue Menschen kennen, mit denen wir unsere Zeit teilen, die uns begleiten oder die einfach dabei sind. Meist hinterfragen wir das nicht. Nicht einmal dann, wenn diese Menschen in uns ein negatives Gefühl zurücklassen – vielleicht indem sie Dir das Gefühl geben, Du solltest anders sein, als Du bist oder indem Du spürst, dass sie anderes denken, als sie aussprechen. Im Alltag nehmen wir uns kaum die Zeit solche Empfindungen zu ergründen und widmen den wenigsten Beziehungen unsere Gedanken.

Einen Monat lang waren wir allein unterwegs und die wenigen Menschen, die wir trafen, würden wir nicht wiedersehen. Wir hatten nichts dabei und nichts zu tun, was unsere Gedanken ablenken konnte. Diese neu gewonnene Freiheit schaffte Klarheit und den Raum vermeintlich Selbstverständliches zu hinterfragen. Ich dachte an die Menschen zu Hause und unsere gemeinsame Zeit. Ich konnte mich nicht mehr hinter unerledigten Aufgaben vor meinen Empfindungen für diese Leute verstecken.

Mir kamen Gespräche in den Sinn, in denen ich für einen kurzen Moment den Glauben an mich selbst und meine Träume verloren hatte, die mich runtergezogen hatten oder die voller negativer Energien waren. Ich fragte mich, was falsch daran wäre, diese Menschen zu meiden. Die Antwort war leicht: Nichts. Es ist nicht falsch Nein zu sagen. Nein zu Leuten, die Dir schlechte Laune machen oder in deren Nähe Du nicht Du selbst sein kannst. Das heißt nicht, dass Du jeglichen Kontakt abbrechen musst, aber dass es ok ist nicht mehr Zeit als nötig mit ihnen zu verbringen.

So simpel diese Erkenntnis auch klingen mag – erst auf dem Trail, als wir völlig aus Strukturen und Konventionen ausgebrochen waren, hatten wir Zeit und Raum unser Leben und unsere Beziehungen klar zu sehen und die Menschen zu erkennen, die uns herunterziehen und die, die uns gut tun.

Du lernst die kleinen Dinge zu schätzen.

„Some old-fashioned things like fresh air and sunshine are hard to beat.”

Hast Du vielleicht Die fabelhafte Welt der Amelie gesehen und kennst die Szene, in der Amelie auf dem Markt ihre Hand ganz tief in einen Sack getrockneter Linsen steckt und dabei lächelt? Vielleicht musst Du jetzt auch schmuzeln, weil sich das so albern anhört. Aber es sind eben diese kleinen Dinge, die unseren Tag und unser Leben so zauberhaft und lebenswert machen. Eine Hand in einem Sack Erbsen, eine Wiese, deren lange Grashalme im Wind wehen, eine kurze Begegnung mit einem Fremden oder an einem warmen Ofen einzuschlafen. Wir alle haben unsere ganz persönlichen Kleinigkeiten, die uns glücklich machen und trotzdem vergessen wir sie gern im stressigen Alltag und in unseren vollgestopften Wohnungen.

Uns ging es nicht anders. Seit unserer letzten Reise hatte ich vier Monate in der Uni verbracht und bin meinem tristen Tagesablauf nachgegangen. Jedes Mal habe ich in diesen Phasen das Gefühl zu erblinden, egal wie sehr ich mich dagegen sträube. Als wir dann endlich auf dem Trail waren, unterwegs bei Wind und Wetter, nichts hatten außer uns und dem Nötigsten – da hatte ich das erste Mal das Gefühl völlig frei von großen Dingen zu sein. Frei von Oberflächlichkeit, frei von unnützen Gedanken, frei von Besitz.

Für uns war der Trail auch in dieser Hinsicht eine völlig neue Erfahrung. Wir hatten das Gefühl unsere Umwelt zum ersten Mal klar zu sehen, ohne Schleier, ohne Ablenkung. Ein Baum, dessen Äste sich sanft im Wind wiegen, die klare Luft zum Atmen, kleine Blumen am Wegrand, warme Regentropfen auf der Haut. Wir spürten die kleinsten Dinge und sie wurden wichtig, wir haben sie beachtet. Dieses Gefühl hält noch immer an. Langsam schleicht sich zwar die Alltagsblindheit wieder ein, doch langsamer zuvor und die Erinnerung an die Tage auf dem Trail lassen uns wacher durch die Straßen laufen.

Du wirst glücklicher.

„The real things haven’t changed. It is still the best to be honest and truthful to make the most of what we have to be happy with simple pleasures.”

Wenn Du einen Freund fragst, was er sich vom Leben wünscht, ist die Antwort häufig: „Ich möchte glücklich sein.“ Dank der vielen Facebook-Pages, die fleißig schlaue Zitate schlauer Menschen teilen und unserer eigenen Erfahrung wissen wir aber, dass Glück wohl eher ein Gemütszustand, als ein endgültiges Ziel ist – und der Weg zum Glücklichsein ist sehr simpel.

Alles, was wir dafür tun müssen ist unser Leben ebenso simpel zu gestalten – indem wir Minimalismus nicht als Verzicht, sondern als Geschenk betrachten. Das mag jetzt vielleicht nach einem schlechten Scherz klingen, denn im Grunde bedeutet das, unser Weltbild und den bisherigen Lebensstil zu hinterfragen und sich das vermeintlich Schlechte schön zu reden. So hätte ich es vielleicht selbst vor dem Trail empfunden und mit Sicherheit denkst Du gerade genauso.

Erst das befreiende Gefühl nichts zu haben, das ich nicht brauchte, hat mir bewiesen, dass ich wacher bin, meine Umwelt klarer sehe und mich vollkommen auf das Wesentliche konzentrieren kann. Indem wir in unserem Leben aufräumen und es von Unnützem säubern können wir die wahre Bedeutung von Reichtum verstehen, unser Verstand wird sich klären, wir werden endlich die kleinen Dingen sehen und so unsere Freiheit ganz neu definieren.

Von Magda Lehnert, Dezember 2015. Alle Zitate stammen von Laura Ingalls Wilder. Dieser Artikel ist Teil einer gerade entstehenden Serie über unseren Alpe Adria Trail (http://twofarfromhome.de/category/wandern/alpe-adria-trail)

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